Ein Nachruf: Deniz Binay über die Geschichte des Stinnes Areals

Ein Stückchen Club-Geschichte geht zu Ende...
Stinnes Areal schließt seine Pforten

Ich wurde gebeten, einige Zeilen über die Geschichte des Stinnes Areals zu verfassen. Im Zuge der Vorbereitung auf diesen Artikel habe ich mir viele Videos und Flyer angesehen sowie DJ-Sets angehört, die aus diesem Projekt hervorgegangen sind. Da wurde doch die ein oder andere Erinnerung wach. Schließlich hat mich dieser Laden in den letzten vier Jahren quasi dauerbeschäftigt. Um alles zu erzählen, muss ich ganz von vorne beginnen. Die jüngeren unter euch wissen wahrscheinlich nicht, dass diese Location eine jahrzehntelange Geschichte hat. Schon in den Neunzigern gab es dort Partys z.B. mit Sven Väth und Earth Nation. Damals war das Stinnes Areal noch eine Lagerhalle. Aber das war vor meiner Zeit, weshalb ich mit meiner Erzählung im Jahr 2007 beginnen möchte. Manchen sagt der Funpark noch etwas. Das war eine klassische Großraumdiskothek auf dem kompletten Areal von heute. Alle Räume hatten immer mit verschieden Musikrichtungen (Techno, HipHop, Schlager usw.) geöffnet. Berüchtigt waren damals die 18-Euro-Freisauf-Partys. Als diese Flatrate-Geschichten dann im Zuge der Koma-Sauf-Debatte verboten wurden, ging es für die Betreiber stark bergab. So kam es dann auch dazu, dass es im Sommer 2007 schon mal ein Stinnes Areal in diesen Räumlichkeiten gab. Die Jungs von Nitebeat haben damals, nach dem das Parkhaus geschlossen hatte, einige Monate Partys dort veranstaltet. Dort kam ich persönlich das erste Mal mit Techno und der Szene in Berührung. Leider musste, im Zuge der Pleite des Funparks, auch das Stinnes Areal gehen. So war Silvester 2007/2008 erst einmal Schicht im Schacht! Danach stand das Gelände zweitweise leer, zweitweise haben einige Betreiber versucht es wieder zum Laufen zu bringen. Die Szene aber vergaß ihren Bunker im Industriegebiet. Techno verlagerte sich in die City.

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So blieb es auch bis ins Jahr 2010. Mein Partner Aron und ich haben unsere Wurzeln jedoch nie vergessen. Mit einem Auge schielten wir immer Richtung Industriegebiet. Dort sah es aber schon längst nicht mehr aus wie damals und naja, das Areal schien für elektronische Underground Partys nicht mehr wirklich geeignet. Es gab aber hier eine Zeit in der es kaum Partys gab! Also nichts außer dem Drifter's das damals noch ab 21 Jahren war. Das 18th Months (ein Club im heutigen UG vom S'Oliver Store) schloss im Januar und wir Sinnestäuscher machten kleine Partys in im Furioso 2 in Tiengen oder in der Harmonie. Ab und an gab es noch große Partys im Güterbahnhof, aber uns war das einfach nicht genug. Jedoch, egal wem wir von der Idee mit dem Stinnes erzählten, keiner wollte mitziehen. Wenn die anderen die Füße still halten und keiner sich darum bemüht, dann versuchen wir es eben alleine. So kam es auch, dass wir den Kontakt zu den Jungs im Industriegebiet selbstständig aufgenommen und im Oktober 2010 die erste Party im Stinnes Areal gemacht haben. Für uns war das die Feuertaufe, da wir vorher noch nie alles selbst machen mussten. Genehmigungen, Angestellte, Technik, Garderobe, Shuttlebus und was da so alles zusammenkommt. Doch das Ergebnis hat uns vom Hocker gehauen. Ein voller Erfolg. Die kleinen Sinnestäuscher hatten mit ihren 20 Jahren bewiesen, dass sie es wuppen konnten. Ich erinnere mich gerne noch an Ralf Dännert, der mir Nachts auf die Schulter klopfte und sagte: „Jetzt habt ihr es geschafft!“.

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Ausgestattet mit Tatendrang und, man könnte es jugendlichen Leichtsinn nennen, haben wir uns damals etwas verschätzt. Wir haben gebucht, dass die Schwarte kracht. Bis im Sommer 2011 haben dann bei uns beispielsweise Stimming, Solomun, Gaiser, Barem, Super Flu und Hanne & Lore gespielt. Diese Partys waren schon etwas ganz besonderes. Man hatte immer das Gefühl, dass jeder einzelne Gast ganz genau wusste, was er hier sucht. Es hat sich angefühlt, als wären wir alle Eingeweiht in ein tieferes Geheimnis, das sich dem Mainstream nicht erschloss. Wir veranstalteten Events wie die atemberaubende Luna Tour von Stephan Bodzin (der voll auf den Harry Klein Club steht) und Marc Romboy, die mit unglaublich viel Equipment, iPads, Leinwänden und Schnickschnack eine Mega-Show ablieferten. Für mich unvergesslich. Aber nach der anfänglichen Euphorie zeichnete sich dann ab, dass wir uns das etwas einfacher vorgestellt hatten, als es im Endeffekt war. Wir haben Geld verbrannt bis zum geht nicht mehr. Ja, man muss schon sagen, dass wir kurz vor der Pleite standen.

Diese eine Geschichte finde ich immer noch zum schießen. Wir haben den Geburtstag von Chris Milla (Local-DJ-Legende, heutzutage kaum noch aktiv) ausgerichtet. Es war der 24.09.2011. Der Tag, an dem der Papst Freiburg heimsuchte. Als prominente Gäste hatten wir Daniel Steinberg und Basti Grub feat. Violino eingeladen. Das Booking war bestimmt sechs Monate vorher schon fixiert worden. Mir war bewusst, dass der Papst in Freiburg ist. Was ich mir nicht gedacht hatte, war was das für Auswirkungen auf die Stadt haben wird. Abgesehen davon, dass es schier unmöglich war, Hotelzimmer für die Artists zu bekommen, war halb Freiburg abgeriegelt. Mit jedem neuen Artikel über Sperrzonen und Sicherheitsstufen wurde uns klarer, dass das Ganze keine gute Idee war. Am Ende standen wir mit wenigen hundert Gästen im Club. Trotzdem haben wir es uns nicht nehmen lassen, das Spektakel ein wenig auf die Schippe zu nehmen. Wir haben einige Freunde in Ministranten, Kardinals und Nonnenkostüme gesteckt. Dem betrunken Milla haben wir in ein Papstkostüm gesteckt und auf dem Mainfloor um 04:00 Uhr Nachts die folgende Show abgezogen.. Also ich find es immer noch witzig^^

Nach der auf diese Party folgenden Sommerpause kamen nun die Jungs von Nitebeat auf uns zu, da sie einige Acts an der Hand hatten, für die sie eine große Location suchten. Unter anderem ging es um eine Party mit Oliver Koletzki, die dann letztendlich am 15. Oktober 2011 stattfand. Wir kombinierten ihn mit einem sowieso an dem Wochenende geplanten Event mit Dapayk und Monoloc. Die drei Jahre Sinnestäuschung wurde so die erste Veranstaltung, die Sinnestäuschung und Nitebeat gemeinsam im Stinnes Areal durchführten. Ebenfalls ein voller Erfolg. Die Jungs haben damals so viel Knowhow, Technik und Connections mit in den Topf geworfen, dass sich die enge Kooperation entwickelte, die Ihr die letzten Jahre miterlebt habt. Großartige Bookings waren die Folge: Oliver Huntemann mit seiner Reactable Tour, Pan Pot, Luna City Express, Butch oder The Advent sind nur einige Beispiele. Der Laden rannte und eine Party war besser, voller und ekstatischer, als die Letzte.

Einen Event möchte ich aus diesem Zeitraum besonders hervorheben. Die Party mit Marek Hemmann am 20.01.2012. Ich habe schon seit 2009 Anfragen an Marek geschickt und war begeistert von seiner Musik. Doch Aron und ich haben uns den Preis den Marek zu Recht verlangte, einfach nicht getraut zu bezahlen. Wir waren uns nicht sicher, ob er das Geld wieder einspielen könnte. Die Bookerin gab mir zwar wörtlich „Brief und Siegel für den Erfolg“, aber bis die Nitebeat Jungs da waren, um im Falle eines Worst Case mit in die Bresche zu springen, ließen wir die Finger von der Sache. Als es dann so weit war, zeichnete sich ein Unikum ab, das ich so nie wieder erlebt habe. Schon im Vorhinein zeichnete sich ab das dies ein denkwürdiger Abend werden würde. Wir haben dann den heutigen Club als dritten Floor dazugenommen. Ab Schlag 22 Uhr stand eine 50 Meter lange Schlange vor dem Club. Ich bin halbstündlich durch einen Seiteneingang nach draußen und hab mir das Spektakel angeschaut. Die Schlange stand bis hoch zur Straße und wurde einfach nicht kürzer. Als es dann noch in Strömen zu regnen begann, aber niemand Anstalten machte die Schlange zu verlassen, war ich mir sicher, dass dieser Abend explodiert. So war es auch! Ich habe in den letzten sechs Jahren so etwas nie wieder erlebt. Vor allem habe ich nie wieder so viele Leute so schreien hören.

Mit Rückenwind haben wir dann den früheren Purzelbaum in den Floor verwandelt, den Ihr heute kennt. Wir haben eine neue Anlage gekauft, ganz viel Zeugs rausgerissen, gestrichen, Boden verlegt und so weiter. Ihr wollt gar nicht wissen, was Bauen kostet. Da wurden Unsummen reingesteckt. Nachdem wir fertig waren, sah man schon einen deutlichen Unterschied. Aber zufrieden waren wir noch lange nicht. Dieses Problem zieht sich durch unsere ganze Zeit im Stinnes Areal. Wir waren nie wirklich zufrieden. Versteht mich nicht falsch, das Gelände ist super geeignet, um einen Top-Club daraus zu machen. Viele Probleme mit denen die Gastronomen in Freiburg kämpfen, hat man dort einfach nicht. Es gibt genug Platz, es ist nie zu heiß, man hat viele Floors und Eingänge zur Auswahl und kann sich so variabel auf die Anforderungen eines Events anpassen. Ganz wichtig natürlich auch für Techno: du kannst quasi gar nicht zu laut sein. Da wohnt ja niemand! Außerdem sind die Mauern schön dick ;-) Naja, trotzdem war es nun mal so etwas, wie eine Club-WG. Wir, wie auch der Big7Club, haben dieselben Räumlichkeiten für Veranstaltungen verwendet, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Diese Anforderungen unter einen Hut zu bringen hat natürlich harte Kompromisse erfordert. Damit will ich sagen: Wäre das unsere "Wohnung" gewesen, wäre da vieles anders gewesen. Gerüchte rankten sich um uns. Von „die sind zu faul“, über „Geldgeier und Abzocke“ bis hin zu „die haben doch schlicht keine Ahnung“ reichten die Vorwürfe. Leute, wir wissen wo es gehakt hat. Schließlich kommt das ganze Team selbst aus der Szene, wenn vielleicht auch aus einer Zeit, die Ihr nicht mehr mitbekommen habt. Wir hätten gerne einiges Geändert, aber die Dinge sind oft nicht so einfach, wie sie für Euch außenstehende erscheinen mögen.

2013 und 2014 brach die Szene dann langsam aus. Lützenkirchen, Wankelmut, Laserkraft 3D und weitere Beispiele brachten Techno und House in die Charts. Plötzlich war eine Zielgruppe für derlei Veranstaltungen vorhanden, die vieles erst möglich machte. Überall sprossen die Veranstalter, Clubs, Konzepte und viele neue Artists aus dem Boden. Hier ein kleiner Abriss wer in diesen Jahren bei uns gespielt hat: Marek Hemmann, Klaudia Gawlas, Lützenkirchen, Ida Engberg, Butch, Tommy Four Seven, Andhim, Marc Houle, Dapayk Solo, Alex Bau, Brian Sanhaji, Animal Trainer, Rush, Sascha Braemer, Spartaque, Joseph Capriati, Gaiser, Format.B, Chris Liebing, Magda, Emerson, Marcel Dettmann, Kollektiv Turmstrasse, Dustin Zahn, Ruede Hagelstein, Marika Rossa, Aka Aka feat. Thalström, Monoloc, Dandi & Ugo, Adam Beyer, Umek, Dominik Eulberg, The Advent, Niereich, Extrawelt, Santé, Tiefschwarz, Daniel Stefanik, Angy Kore, Torsten Kanzler, Pfirter, A.N.A.L., Worakls, Mollono.Bass, Pappenheimer, Octave, Boris Brejcha, Adam Port, Len Faki, Johannes Heil, Rebekah, Andreas Henneberg, RAR Live, Felix Kröcher, Gayle San, Kerstin Eden, Kulinaris, Oliver Schories, Klopfgeister, A-Brothers, Super Flu, Cascandy, Björn Torwellen, Neelix, Ace Ventura, dOP, Rodriguez Jr., Daniel Portman, Rampue, Tinush, Max Cooper, Lexer und viele, viele mehr.

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Nun, genau sieben Jahre nach dem das Stinnes Areal das erst Mal zur Closing-Silvesterparty rief, wird erneut Abschied gefeiert. Am 31.12.2014 findet hier die letzte Party statt. Es war wirklich eine spannende Zeit und auch wenn nicht alles rosig war, hatten wir viel Spaß mit Euch und ich kriege Pippi in den Augen, wenn ich Eure Kommentare oder Nachrichten lese und mir erst richtig bewusst wird, wie viele Leute wir doch eine lange Zeit begleitet haben. Für viele muss dieses neue, aufregende Gefühl von der Szene, in die man oft frisch mit 18 Jahren eintaucht, im Stinnes stattgefunden haben. Ich hoffe, dass Ihr Euch so gefühlt habt, wie ich es damals tat. Ein Stückchen Clubgeschichte geht damit zu Ende. Aber wenn ich eines gelernt habe, dann, dass Clubs kommen und gehen. Das ist aber nicht schlimm. Es geht immer weiter. Manchmal sogar besser als zuvor. Ich hoffe, dass ich mit diesem Text dem einen oder anderen der Leute, für die das Stinnes ein besonderer Ort war, einen Einblick in die Geschichte geben konnte, wie das Ganze zustande kam und was wir darüber denken. Auf alle Fälle dürft Ihr Euch sicher sein, dass wir der Szene als Veranstalter erhalten bleiben und fortführen, was wir einst begonnen haben… das „Wo“ ist dabei nicht so wichtig.

> Closing Party: 31. Dezember / Electronic Sensation, Stinnes Areal, Freiburg

 

Deniz Binay