INTERVIEW: DR.MOTTE

Acid, Loveparade und Bedroom DJs

Wegbereiter, Szene-Urgestein und grenzenloser Aktivist - auch nach knappen 30 Jahren im Zirkus der elektronischen Musik-Szene hat der Love-Parade Gründer Dr. Motte alles andere als genug. Im Gegenteil - mit seinem Label PRAXXIS sorgt der Ur-Berliner seit einigen Jahren für regelmäßige Veröffentlichungen.

Hallo! Fangen wir mal einfach an. Wir schreiben das Jahr 2014, du bist nun seit über 25 Jahre in der Szene aktiv und maßgeblich an der Entwicklung elektronischer Musik beteiligt. Soweit die offizielle Version. Wie siehst du dich selbst und dein Handeln über die Jahrzehnte? Und wie siehst du den aktuellen Stand der elektronischen Szene und Musik in Deutschland?
Hallo zusammen. Um genau zu sein feiere ich nächstes Jahr sogar schon 30jähriges DJ Jubiläum. Dazu plant mein Team von PRAXXIZ Booking (www.praxxizbooking.com) schon eine World Tour. Ich sehe mich in erster Linie als Künstler und Kreativer. Es ist wichtig ein professionelles Team an seiner Seite zu haben. Damit kannst du dann auch über Jahre hinweg Projekte umsetzen. Es ist interessant wie sich die elektronische Musikszene in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt hat.


Du wurdest in der Vergangenheit oft für angeblich kontroverse Aussagen deinerseits kritisiert. Findest du es schade, dass man heutzutage sich für jede Aussage rechtfertigen muss, nur weil sie medial falsch interpretiert wird? Verliert man dabei nicht die Lust sich überhaupt noch mit Politik oder Musik öffentlich auseinanderzusetzen?
Und dann wird dies auch noch im Internet manifestiert... Die Medien können dich Vorverurteilen und dann? Keiner fragt „wie hast du das eigentlich gemeint?“ oder „warum hast du das gesagt?“. Es wurden Dinge aus dem Kontext gerissen oder einfach schlecht recherchiert. Das ist für mich als freiheitsliebenden und demokratischen Menschen unerträglich. Deswegen ziehe ich mich noch lange nicht aus meinem kritischen Engagement zurück. Im Gegenteil, ich spiele ja gerne auch mal den Provokateur, z. B. um öffentliche Diskussionen über Themen zu starten.

Du warst 1989 einer der Initiatoren zum Vorläufer der Love Parade unter dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“. Wann wurde die klar, dass die Kommerzialisierung der Love Parade nicht mehr zu verhindern war?
Vorläufer? Was für ein Vorläufer? Die erste Loveparade ist am 1. Juli 1989 als Demonstration über den Kurfürstendamm gezogen. Nach einer Idee, die ich im Mai 1998 hatte, bildeten wir ein Team aus 12 Freunden, die diese innerhalb von 6 Wochen umsetzen. Nach 10 Jahren kamen dann 1,5 Millionen Menschen zur Loveparade nach Berlin. Doch bereits 1992, wie im Buch "Der Klang der Familie" (Suhrkamp Verlag) auch nachzulesen ist, zeigte sich, dass es eine Kluft zwischen den rein wirtschaftlich Interessierten und den kulturell Interessierten gab... Ich hätte die Loveparade 1992 fast abgesagt, so sehr waren wir zerstritten.

Ist es überhaupt möglich, eine idealistische und non-kommerzielle Idee, wie die Love Parade, ab einer bestimmten Größe und Bekanntheit weiter zu realisieren? Oder ist in unserer Gesellschaft so etwas durch die dauerhafte Kapitalisierung gar nicht mehr möglich?
Doch, ich denke schon. Aber dazu gehört ein kreativer Umgang mit den offenen Fragen. Es gibt für die Finanzierung solcher Projekte immer Lösungen. Es hängt am Ende von der Situation und den Entscheidungen der Beteiligten ab.

Du hast bereits den Hype der elektronischen Musik in den 90er Jahren durchlebt. Inwiefern unterscheidet sich der Hype der 90er zu dem von heute? Und können wir hier überhaupt von einem Hype sprechen oder ist dies der normale Zyklus den ursprünglich subkulturelle Musikstile durchleben?
Das was Mitte der 1990er in den Medien in Deutschland passierte, war eher mit der "Neuen Deutschen Welle" zu vergleichen. Szenefremde Produzenten machten plötzlich Schlumpf-Techno im Radio. Das was jetzt passiert ist viel größer und internationaler. Ein Abstecken der Geschäftsfelder zur Profitmaximierung. Börsennotierte Unternehmen grasen den Markt ab, shoppen sich eine Event-Bude nach der anderen zusammen, und schaffen dadurch Strukturen, um elektronische Musik noch profitabler zu machen. Mit sogenannter "Electronic Music Culture", als was es dann verkauft wird, hat das aber nach meiner Meinung nichts zu tun. Als Musikliebhaber sollte man also immer schauen, mit wem man es am Ende zu tun hat.

Die Szene hier im Süden kann ja auf eine lange Tradition im Bereich der elektronischen Musik zurückblicken. Clubs wie das Unbekannte Tier, das Oz, Prag oder M1 waren international bekannt. Heute muss man auch hier für jeden Zentimeter an Sub- sowie Clubkultur kämpfen. Verfolgst du auch solche regionalen Entwicklungen wie bei und in Stuttgart und wenn ja – wie ist deine Meinung dazu?
Ich beobachte überall in Deutschland, wie schwierig es geworden ist, heute einen Club zu führen. Leider sind die Bedingungen, die von den Behörden auferlegt werden, oft nicht nachvollziehbar. Behörden arbeiten nach ihren Vorgaben. Zusätzlich machen die Ordnungsämter es den Clubbetreiben ebenfalls schwer. Noch dazu kommt die Trägheit der heutigen Jugend, die lieber auf dem Mobiltelefon daddelt, als Tanzen zu gehen. Oder sogar im Club noch weiter daddeln. Da wird die Hauptsache, nämlich elektronische Musikkultur zu genießen, zur Nebensache. In London z.B. gilt sowas als uncool.

Die elektronische Musik hat in den letzten Jahren wieder eine absolute Hochphase erreicht. Siehst du dich persönlich überhaupt als Teil dieser Maschinerie? Oder besser gefragt, möchtest du dich überhaupt als Teil dessen sehen?
Es gibt verschiedene Blickwinkel. Ich glaube, dass jeder, der im Nachtleben aktiv ist, Teil der Maschinerie ist. Der DJ ebenso wie das Thekenpersonal, der Clubbetreiber, der Plakatierer oder der Gast etc., denn letzten Endes tragen wir alle unseren Teil dazu bei. Aus der Sicht als Künstler verdienst du heute dein Geld fast nur durch Auftritte, kaum noch durch Plattenverkäufe, Downloads oder Streaming. Die GEMA ist auch nur für die Majors wie Sony/BMG, Universal, EMI usw. da. Als Label sieht es kaum besser aus. Was am Ende vom Vertrieb, nach allen Abzügen ausgezahlt wird, ist schon recht erbärmlich. Deshalb machen immer mehr kleine Labels auch eigene Veranstaltungen. Interessant auch, wie viele Festivals in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen sind. Die Presse sprach dieses Jahr vom Peak der Festivalschwemme. Ich bin gespannt, wie sich das in den nächsten Jahren weiterentwickelt.

Wie erlebst du die Entwicklung der elektronischen Musik in Berlin mit? Siehst du eher die positiven Aspekte, dass sich viele Menschen mit Idealistischen Projekten selbst verwirklichen können, oder überwiegen eher die negativen Punkte einer Szene, die sich immer mehr diktieren lässt?
Ich habe gehört, in Berlin soll es ca. 200.000 DJs geben, sog. Bedroom-DJs mit eingeschlossen. Es gibt aber nur eine begrenzte Anzahl von Locations in der Stadt. Da wird es schwierig für neue Acts und DJs aufzufallen. Das bedeutet viel Arbeit für wenig Ruhm und Lohn. Viele treten für umsonst auf. Aber grundsätzlich sehe ich eher die positiven Aspekte, denn wenn alle mitmachen, dann wird das Style-Diktat schwierig, denn jeder bringt seine Ideen mit ein und entwickelt die Kultur damit weiter. Das ist doch toll. Und zum Glück gibt es jetzt auch ein bisschen Support aus der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Berlin Friedrichshain-Kreuzberg, in Form einer Bestandsbewahrung der existierenden Clubs & Veranstaltungsräume.

Trotz allem bist du über die Jahre auch als Produzent aktiv geblieben. Die letzten Jahre vor allem auf deinem eigenem Label PRAXXIZ Records. Erzähl und doch etwas über deine aktuellen Releases und über dein eigenes Label.
"We Passionately <3 Electronic Music" ist unser Motto. Wir bleiben offen und neugierig was neue Veröffentlichungen betreffen. Da muss man sich selbst auch immer wieder neu hinterfragen, ob man jetzt eingefahren ist oder weiterhin undogmatisch und offen für Neues. Ich denke stilistisch sind wir schon ganz klar bei „Techno“ einzuordnen, wobei das für mich immer ein weitgefasster Begriff ist. Wenn uns eine Nummer so richtig gut gefällt, dann nehmen wir uns auch die Freiheit mal was ganz anderes zu machen, wie wir es z. B. 2013 mit dem Projekt MODVLAR von Henning Richter & Stefan Lewin gemacht haben. Die nächste Veröffentlichung steht schon für den 10. Oktober in den Startlöchern. Dann gibt es die „Fever EP Remixed“ für die wir vier großartige Künstler gewinnen konnten: Ken Ishii, Eric Sneo, Pascal Feos und den Gewinner unseres Remix Contest 2014, DJ Sur.

Könntest du dir auch vorstellen auf anderen Labels zu veröffentlichen? Oder fehlt dir da die eigene künstlerische Freiheit indem du dich auf Fremd-Labels anpassen müsstest?
Grundsätzlich bringe ich meine Tracks am liebsten auf PRAXXIZ heraus. Es gibt aber auch noch weitere Projekte von mir, wie z.B. Dr. Mottes Euphorhythm, bei denen ich auch mal Ambient Music oder experimentelle elektronische Musik mache. Die sind dann auch auf anderen Labels, weil sie dort einfach musikalisch besser rein passen und auch noch einmal ein ganz anderes Publikum erreichen. Wie bei allem anderen bin ich aber auch hier nicht dogmatisch und immer offen für Lizenzierungen oder Erstveröffentlichung auf anderen Labels.

Was wird man in Zukunft musikalisch sowie vielleicht auch organisatorisch von dir zu hören und sehen bekommen? Gibt es bereits ein paar Projekte über die du sprechen kannst?
Immer. Ich bin zurzeit wieder viel im Studio. Ich habe ein experimentelles Euphorhythm Album fertig. Dann habe ich mit Gabriel Le Mar ein Chill-Out Album fertig. Ich bereite eine "Best of Dr. Motte" Compilation vor und plane ein neues Dr. Motte Album für meine Anniversary World Tour 2015, mit neuen Tracks von mir alleine und von Kooperationen mit Kollegen. Eigene Veranstaltungen sind sowieso ständig in der Mache. Die nächste in Berlin wird wieder eine Acid Party sein, diesmal im Club „Fiese Remise“ aka „Fiesere Miese“ (lange Geschichte) mit dem Titel „Vote for Acid“. Unsere PRAXXIZ Clubnight ist ab Oktober wieder in Deutschland auf Tour, z. B. im Tube Club in St. Wendel oder im Brain in Braunschweig. Freie Termine gibt’s bei meinem Team unter booking@praxxiz.de. :-)

Zu guter Letzt, möchtest du noch etwas loswerden? Statements, Ankündigungen oder Grüße?
Ähm... Ja. Schaltet alle mal wieder öfter den Computer und das Handy aus, das lenkt nämlich nur von einem selbst ab. Danke für das Interview & bis bald, Euer Dr. Motte.

 

 

 

Christian Schmidt