Interview: Paul Brcic

Ausnahmekünstler mit technoidem Herzschlag

Paul Brcic (vorher Brtschitsch) gilt als herausragender Künstler in der elektronischen Musikkultur mit einem kräftigen Hertzschlag für technoide Klänge. Seine frühe Liebe zu Techno entdeckte Paul im legendären Frankfurter Omen und veröffentlichte 1996 seine erste Platte, welche direkt von Jeff Mills aufgegriffen wurde. Im Laufe der Zeit bereiste der Produzent, DJ und Live-Act beinahe die ganze Welt und offenbarte sein Verständnis von treibenden und verspielten Sounds in international angesagten Clubs wie auch auf Festivals. Er veröffentlichte auf Labels wie Richie Hawtins Plus 8 oder auch Ostgut Ton bis er 2007 schließlich sein eigenes Label „Rootknox“ ins Leben rief.

Wann hast du angefangen selbst zu produzieren bzw. mit Live-Equipment zu arbeiten?
Ich glaube es muss 1992 gewesen sein, als ich als Keyboarder einer Metal Band den Sequenzer meines damaligen Gerätes entdeckte. Nur den fehlenden Bassisten durch monotonen Daueranschlag der Tasten D, E, F zu ersetzen war mir spätestens nach meinem ersten Besuch in Sven Väths "Omen" fortan zu wenig. Ich wollte genau das machen, was dort von Ihm mit Hilfe der damaligen Produktionen zelebriert wurde - Techno. Und so fing ich an versessen an den ersten Tracks zu tüfteln. 1994 spendierte mir mein Dad einen Quasimidi Technox, in dem waren alle gängigen Sounds dieser Zeit, wenn auch etwas drucklos, beinhaltet. Die Mission war klar: Ich will eine Platte veröffentlichen. So bin ich im Alter von 16 Jahren mit hochrotem Kopf wöchentlich ins Delirium (Frankfurter Plattenladen) und habe Musikkassetten an Heiko, MSO und Ata abgegeben mit Demos meiner damaligen Produktionen. Beharrlich fragte ich immer wieder nach, bis Heiko irgendwann Potenzial erkannte und mir mit dem kurz darauf folgenden Job beim Neuton Vertrieb auch den Weg für meine erste Platte auf Tritone ebnete.
Dort lernte ich u.a. Andre Galluzzi kennen, der zu dieser Zeit gerade im Wiesbadener Raum sehr viel gespielt hatte und mich fragte, ob ich nicht bei einer seiner Partys im damaligen Parkcafe einen Live-Act machen wollte… Und so war es dann auch. Ich war ziemlich aufgeregt, fand jedoch sofort Gefallen daran, eingebettet in eines seiner großartigen Sets von der Stimmung als Live-Act profitieren zu können. Live-Acts waren damals wirklich etwas Spezielles und ich hatte mein komplettes Studio abgebaut, um es im Club wieder aufzubauen. Schöne Zeiten. Da haben einem die Maschinen noch nicht so viel Arbeit abgenommen und das haben die Leute entsprechend anerkannt.

Wo liegen deine musikalischen Wurzeln. Wer oder was hat dich besonders beeinflusst?
Nun gut, die zwei Namen sind bereits gefallen: Sven Väth, Andre Galuzzi haben mich, dadurch das sie Sets mit starken Inhalten gespielt und zelebriert haben, maßgeblich beeinflusst. Natürlich war die Frankfurter Clubszene zu der Zeit auch ein Inspirationsmekka schlechthin. Laurent Garnier oder Carl Cox bei "Masters of European Noise Control" in einem 200 Mann laden abzufeiern war natürlich fantastisch. Die ganze Kultur rund um die X-Mix Videos, Chillout Floors, Hr3 Clubnights, anfänglicher Love Paraden, eigener Open Air Partys in irgendwelchen Waldstücken waren der Schlüssel zur fortwährenden Inspiration.

Trotz dieser Wurzeln öffnest du dich durchaus anderen Genres. Kann man deinen musikalischen Stil überhaupt in Worte fassen?
Man kann es bestimmt irgendwie zusammenführen, denn letztlich ist es immer meine persönliche Stimmung, die ich in den Produktionen wiedergebe. Sei es melancholisch, zufrieden, abgeturnt, zuversichtlich, übermutig, verspielt…verspielt trifft zum Beispiel oft zu, da dieses "im Track stehen" besonders durch die Erlebnisse in Omen, sehr prägend war.
Ich bin beim Produzieren nach wie vor ganz intensiv im jeweiligen Track den ich mache. Für denjenigen, der das zum ersten Mal hört oder eingebaut in andere Musik erfährt bestimmt oft zu komplex. Das ist etwas, was sich durch die meisten meiner Produktionen zieht; Sei es bei den TripHop-Produktionen oder aber bei den Sachen aus dem House- und Techno-Bereich.

Gib es rückblickend einen ganz besonderen Moment in deiner Laufbahn als DJ, Live-Act und Produzent?
Vor dem Radio sitzend als Taksi 1, produziert zusammen mit Andre, in der H3 Clubnight lief. Das war eine Art Ritterschlag… nun sind wir dabei, jetzt geht´s los! So etwas gibt es ja heutzutage gar nicht mehr, ein Medium was so gebündelt Aufmerksamkeit bringt. Der digitale Internet-Wahnsinn zersplittert und dezentralisiert in meinen Augen auf brutalste Weise. Ferner würde ich den Moment der ersten Takte des ersten Live-Acts, die Zusage vom Delirium sich einsetzen zu wollen und die Lizenzierung auf Plus 8 rückblickend ebenfalls unter die Kategorie "besondere Momente" einstufen.

Dein Album "Beijing Rock" galt als Album des Monats in einer der größten elektronischen Musikmagazine und auch die Radiostationen nahmen es wohlwollend auf. Mittlerweile hast du eine Remix-Version des Albums veröffentlicht - Wie kam es dazu?
Joel Mull hat meine Produktionen seit langer Zeit gemocht und mir dafür immer guten Zuspruch gegeben. Somit lag es für mich nah ihn zu bitten etwas vom neuen Album zu bearbeiten. Viele seiner Platten, die ich von Ihm besitze, sind noch aus dem letzten Jahrhundert, insofern besteht schon lange eine Verbindung. Paul Mac gehört für mich zu den vielen unterschätzen Produzenten dieser Tage, somit war ich sehr erfreut ihn ebenfalls für einen Remix gewinnen zu können… seine BigBeat-artige Drum-Programmierung im Techno-Gewand finde ich mehr als gelungen.

Mit welchem Equipment produzierst du deine Tracks wie auf deinem aktuellen Album "Beijing Rock" oder auch Remixe?
Bei mir gibt es immer eine Fusion zwischen den Live Acts und den Produktionen; Dies insofern da fast die identischen Geräte im Spiel sind…bis auf den Computer natürlich, den ich Live nach wie vor bewusst weg lasse. Bei einem Album ist mir ein spezifischer Sound sehr wichtig, der sich durch die ganze Produktion zieht. Im Fall von "Beijing Rock" wollte ich bewusst anders klingen, als das was man mittlerweile so als gewissen "Standard" in vielen heutigen Produktionen rausdeuten könnte. Nicht im Sinne von noch grösser und fetter, eher vielleicht etwas älter, vielleicht wie ein Radiosender aus Peking, den man in etwas lofi-mäßiger Qualität empfängt, oder anders: In einem bestimmten Soundgewand eben. Hierfür kamen mir die älteren Geräte, die ich nach wie vor live zum Einsatz bringe zugute, wie eben die Yamaha SU 700 mit ihren charakteristischen digitalen Zerfransungen, oder eben die Korg ESX mit eigens bestückten Samples. Ich sample mich viel selbst, nehme Fragmente aus den Livesets, oder auch Elemente aus dem Studio, die wiederum innerhalb des Live-Setups verändert werden. Ich versuche soweit wie möglich auf Presets zu verzichten, eigener Charakter hat für mich besonders bei Alben hohe Priorität.

Welche Tracks hörst du dir an wenn du nach einem anstrengenden Tag zuhause aufs Sofa fällst?
Ich komme als Berliner in den Genuss das Radio mit der besten Musikredaktion hören zu können: Radio 1. Und sollte ich gerade in Frankfurt sein, dann höre ich es via Live-Stream. Es verschafft wirklich einen Überblick was in der Musikhistorie wichtig war, was wichtig ist und dies mit den nächtlichen Spezial-Sendungen durch alle Musikstile. Mehr brauche ich nicht.

Was hast du gerade in Planung hinsichtlich neuen Veröffentlichungen?
Ich beschäftige mich gerade mit der Zusammenstellung einer Best Of Compilation rückblickend auf die Veröffentlichungen der letzten sieben Jahre meines Labels Rootknox. Dort werden neben Remixen von Anja Schneider, Kollektiv Turmstrasse, Jesper Dahlbäcks Brommage Dub Projekts auch bis dato unveröffentlichte Titel und Versionen zu hören sein. Ansonsten gibt es neues vom Techno-orientierten Puresque Projekt in Zusammenarbeit mit Mocca und ich versuche mich wieder mal darin eine aussagekräftige Maxi für ein anderes Label zu produzieren. Im kommenden Winter widme ich mich dann dem nächsten Brcic Album.

Johannes Windisch